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Die jüdische Gemeinde PDF Drucken E-Mail

Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts ließen sich Juden, vermutlich auch Flüchtlinge der Verfolgung durch den Kosakenführer Bogdan Chmelnizki aus Polen, in Ungedanken nieder. Ab der Mitte des 17. Jh. trafen sich die Ungedänker Juden in einem Privathaus zum Gottesdienst, zu dem auch Juden aus Rothhelmshausen und Mandern kamen. Die Ungedänker nannten es Mausches Haus (von Mose) oder Jüddels Haus (von Jude).
1708 wurden die Ungedänker Juden vermutlich zur Synagogengemeinde in Fritzlar gezählt. 1781 gab es in Ungedanken eine ,, Schul", d. h. Synagoge, (zu der auch die Juden aus Rothhelmshausen gehörten), ein kultisches Bad in einem sehr alten Fachwerkhaus neben einem Brunnen und einen jüdischen Friedhof. Die Juden von Ungedanken betrieben vorwiegend Handel, die meisten Viehhandel.
1842 wurde für Ungedanken und Rothhelmshausen die Bildung einer eigenen Gemeinde und die Errichtung einer eigenen Schule genehmigt. Die jüdische Gemeinde blieb aber dennoch mit Fritzlar eng verbunden. Die höchste Schülerzahl betrug 50. Um 1860 reichte der Betsaal im Lissauerschen Hause für insgesamt 25 Familien einschließlich derer aus Rothhelmshausen und Mandern nicht mehr aus. Der Gottesdienst fand dann im Hause von Isaak Mannheimer statt. 1864 baute die jüdische Gemeinde eine eigene Synagoge in der Hauptstr. 17. Sie kostete 6.000 Taler. In dem zweistöckigen Massivbau mit den Gesetzestafeln im Bogenportal waren auch das kultische Bad sowie die jüdische Schule mit Lehrerwohnung und Klassenraum untergebracht. Die Elementarschule hatte 1869 36 Schüler, 1879 besuchten nur noch 20 Schüler die jüdische Schule, 1883 noch 11 und 1900 nur noch sechs. Sie wurde daraufhin aufgelöst.

Einen Einblick in die Zahlenverhältnisse der damaligen Zeit gibt folgende Aufstellung:

Jahr Einwohnerzahl davon Juden % der Bevölkerung
1861 372 74 19,9
1871 353 78 22,1
1885 347 50 14,4
1895 281 27 9,6
1905 298 28 9,4
1925 370 12 3,2


Die Zahl der judischen Bewohner nahm so sehr ab, dass 1909 zur Unterhaltung des jüdischen Friedhofs eine Stiftung errichtet wurde. 1914 feierte man das 50jährige Jubiläum der Synagoge. Durch Wegzüge nach Fritzlar und Kassel sowie Emigration wurde die Gemeinde immer kleiner. 1933 wohnten in Ungedanken nur noch zwei jüdische Familien; die Familie Levi Gutheim sowie die Familie Julius Mannheimer. Letztere Familie wanderte 1933 nach Amerika aus. So verblieb die Familie Gutheim als einzige jüdischen Glaubens in Ungedanken. Sie betrieben eine Gastwirtschaft (heute Haus Dubielzig), einen kleinen Gemischtwarenladen, etwas Landwirtschaft und einen Handel mit Getreide und Düngemitteln. ln den Jahren 1933 — 1938 wurde das Anwesen der Familie Gutheim insgesamt 5 mal von NS-Truppen überfallen. Dabei wurden Herr Gutheim und sein Sohn schwer verletzt sowie ein beträchtlicher materieller Schaden angerichtet. Bei dem Überfall am 24.02.1937 kam der Sohn von Levi Gutheim ums Leben. Den Ungedänker Bürgern wurde der Kontakt zu den jüdischen Mitbürgern untersagt. Zuwiderhandlungen wurden in einer sogenannten ,,Warnkartei", das war eine interne Meldekartei für nicht parteikonformes Verhalten", festgehalten. Hier zwei dieser Eintragungen:

"Arbeiter HM. unterhält sich viel mit Juden. Er verkehrt noch heute bei dem Juden, bei dem er früher gearbeitet hat, beim Juden Gutheim".

"G. gebraucht den Schutz eines Juden, um Gläubiger zu benachteiligen. Er hat seinen Wagen, wahrscheinlich um ihn der Pfändung zu entziehen, beim Juden Gutheim untergestellt und diesen erst im Juli 1937 vom Juden wieder geholt, wobei der Jude habe schieben helfen"

Am 25.8.1942 wurde Levi Gutheim im Alter von fast 79 Jahren über seine bevorstehende ,,Umsiedlung" nach Theresienstadt informiert. Theresienstadt wurde vom Juli 1942 bis Sommer 1943 als Ghetto und danach beschönigend offiziell als ,,Jüdisches Siedlungsgebiet" bezeichnet. Da die Juden angeblich umgesiedelt wurden, sollten sie Werkzeug u.ä. für den Neuanfang per Bahn aufgeben. Im September 1942 verabschiedete sich Levi Gutheim von Bekannten in Fritzlar. Darüber schrieb er rückblickend: ,,In den letzten Tagen, bevor ich ins KZ- Lager gebracht wurde, habe ich mich von meinem besten Freund H. (das war ein christlicher Kaufmann in Fritzlar) verabschiedet und ihm den Rest meines Mehlkontos geschenkt, damit es den Nazis nicht auch noch in die Hände fiel. Als ich mit meiner Frau aus dem KZ zurückkam, galt mein erster Besuch in Fritzlar der Familie H., wo wir in ehrlicher Freundschaft eine herzliche Aufnahme fanden". Diese Freundschaft war charakteristisch für Levi Gutheim. In Theresienstadt galt der 80jährige Levi Gutheim als ,,gesund und rüstig". Er arbeitete in der Landwirtschaft und heiratete in Theresienstadt die Witwe Olga Kallmann, geb. Ehrenhaft. Levi Gutheim musste 32 Monate im Ghetto leben. Er wurde am 8.5.1945 befreit, musste aber bis zum 24. 7. in Theresienstadt bleiben. Von 844 Juden aus dem Bereich Kassel, die nach Theresienstadt deportiert worden waren, überlebten nur 70, unter ihnen war Levi Gutheim der Älteste. Levi Gutheim kehrte nach Ungedanken zurück. Er war der einzige Rückkehrer im Kreis Fritzlar-Homberg, der nach dem Krieg wieder in seinem Hause wohnte. Im Dezember 1945 stellte Levi Gutheim einem Fritzlarer Geschäftsmann ein Entlastungsschreiben für dessen Entnazifizierungsverfahren aus, weil er sich an dessen freundliches Verhalten ihm und anderen Juden gegenüber erinnerte. Trotz allem schrecklichen Erlebten unterschied er zwischen Nazitätern und hilfreichen Deutschen. Er weigerte sich, über den Überfall am 10.11.1938 Aussagen zu machen, weil er keine Rache wollte. lm Juni 1946 übernahm Levi Gutheim als 83 jähriger die treuhänderische Verwaltung des jüdischen Vermögens im Kreis Fritzlar-Homberg. Das war sehr arbeitsaufwändig und mühevoll. 1951/52 war Levi Gutheim außerdem Vorsteher der jüdischen Gemeinde Bad Wildungen. lm Mai 1952 lag der seit Wochen schwer an Leukämie erkrankte Gutheim im Krankenhaus. Sein Anwesen verkaufte er an den Landwirt Heinrich Eichenberg. Am 23.6.1952 verstarb Levi Gutheim. Nach seinem Tod war seine Frau Olga für kurze Zeit ,,UnterverwaIterin" des Treuhänders. Sie verstarb am 26.10.1953.
Levi und Olga Gutheim wurden beide auf dem jüdischen Friedhof in Ungedanken beerdigt.



Juni 2010

In Züschen und Ungedanken erinnern jetzt Tafeln an die Opfer des Holocaust

Zeichen gegen Vergessen

Enthüllung in Ungedanken: von links Eleonore Meyer, Deborah Tal-Rüttger, Ulla Hain, Paulgerhard und Charlotte Lohmann sowie
Ortsvorsteherin Heidi Puchinger. Fotos: Büchling

Pfarrer Paulgerhard Lohmann, der gemeinsam mit seiner Frau die Geschichte der Juden in Fritzlar erforscht hatte, hatte den Anstoß gegeben, die Tafeln anzubringen. Zehn Namen trägt die Tafel und den Text:

„Nicht das Wegsehen, sondern das Hinsehen macht die Seele frei.“


Ortsvorsteherin Heidi Puchinger betonte, dass die Gedenktafel an einer exponierten Stelle im Ort stehe, die von vielen Menschen beim Vorbeifahren oder -gehen gesehen werde.
Für den katholischen Pfarrgemeinderat sprach Wolfgang Josef. Eleonore Meyer, Kirchenälteste der evangelischen Kirchengemeinde schilderte ihre Erlebnisse als Zeitzeugin der Pogromnacht und sagte: „Vergessen sie ihre Wurzeln nicht und helfen sie mit, soweit es Ihnen möglich ist, dass solch Unrecht nicht mehr geschieht.“ Bürgermeister Karl Wilhelm Lange betonte, dass sich die Einwohner aus eigener Initiative zusammengeschlossen hätten, um die Gedenktafeln aufzuhängen. Lange lobte die Arbeit und die Unterstützung der Spender. Pfarrer Paulgerhard Lohmann hielt zu beiden Enthüllungen einen viel beachteten Vortrag über das jüdische Leben und die Geschichte in den beiden Dörfern. 



 

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