1740 Dieses Jahr nimmt in der Geschichte von Ungedanken eine besondere Stellung ein. Es ist der Beginn der sogenannten Ungedankener Rebellion. Diese beschränkt sich allerdings nicht allein auf Ungedanken, sondern zog auch ihre Kreise zum Nachbardorf Rothhelmshausen, das sich allerdings sehr zurückhielt, so daß beim Abschluß der Unruhen, die bis in das Jahr 1744 dauerten, Rothhelmshausen ungestraft aus der Geschichte herauskam. Man hätte meinen sollen, daß unter dem Mainzer Krummstab gut leben gewesen sei. Dieses traf in gewisser Beziehung auch zu. Dennoch waren die Verhältnisse in Ungedanken insofern schwieriger gelagert, als das St. Petristift zu Fritzlar die vogteiliche Gerechtigkeit über das Dorf ausübte, man also dem Stifte in Fritzlar Untertan war. Man glaubte, die zahlreichen Abgaben, Zinsen, Zehnten, Zoll, Akzise usw. (Akzise = städtische Verbrauchssteuer) nicht mehr leisten zu können, da das Dorf aus dem 30jährigen Kriege sehr verarmt herausgekommen war und noch an den Folgen dieses unseligen Krieges litt. Die dem Stifte zu leistenden Hand- und Spanndienste waren aber nicht zurückgegangen, im Gegenteil - man sah scharf auf die sogenannten Gerechtigkeiten, die das Stift in Ungedanken hatte. Hinzu kamen noch Streitigkeiten anderer Art. Das Volk machte sich Luft und jagte den Greben, den vom Stift bestätigten Dorfbürgermeister, die Dorfvorsteher usw. davon und setzte eigenmächtig neue Leute ein. Das konnte sich das Stift natürlich nicht gefallen lassen, und es kam zu Strafandrohungen, Pfändungen von Vieh und anderen Zwangsmaßnahmen. Die Ungedankener glaubten, sie seien im Recht, nahmen ihrer Obrigkeit gegenüber eine feindselige Haltung ein. Der damals wegen des Aufruhrs vom Stift Fritzlar im Jahre 1740 abgesetzte Bürgermeister von Ungedanken hatte mit einer Anzahl Gleichgesinnter dem Stift als der vogteilichen Obrigkeit den geschworenen Gehorsam in Gebot und Verbot gänzlich aufgesagt, die seither in Hau und Führung des Stifts- und Amtsholzes geleisteten Dienste, die Zahlung der Steuern und Kapitalien, der Accis- und Strafgelder dem Stifte verweigert, einen neuen Dorfgreben samt zwei Vorstehern sowie einen eigenen Holzförster, Feldschützen, Dorf- oder Gerichtsknecht eigenmächtig eingesetzt. Als daraufhin der Stiftssyndikus Haas und der Aktuar Friderici von Dechant und Kapitel nach Ungedanken geschickt wurden, um die Empörer zu Ruhe und Ordnung zu bringen, wurde ihnen mit großem Tumult und unter allerhand Drohungen derartig zugesetzt, daß sie schleunigst die Flucht ergreifen mußten. Ohne Leibes- und Lebensgefahr durfte sich vom Stift niemand in Ungedanken sehen lassen. Die Verwaltung der Justiz lag vollständig darnieder.
1740 - 1744 Auf den Bericht des Stiftes Fritzlar über diese Vorgänge an die vorgesetzte Behörde in Mainz erschien zunächst am 31. Mai 1744 eine landesherrliche Interimsverordnung, die an Johann Bernhard von Weitershausen und Johann Baptist Arnoldi, Kurfürstlichen Mainzer Rat und Amtmann zu Fritzlar und Naumburg, auch Keller zu Fritzlar gerichtet war. In dieser Verordnung des Kurfürstlichen Hofratspräsidenten wird zunächst noch einmal auf die Vorgänge in Ungedanken eingegangen. Dann wird festgestellt: Das Stift Fritzlar hat die alleinige Vogteiherrschaft über Ungedanken und Rothhelmshausen. Diese haben Pensiones, Früchtegelder, Zinsen, Accis und andere dergleichen Gefälle obweigerlich zu entrichten, die in Hau und Führung des Holzes üblichen Frohnden fernerhin zu prästieren, auch diejenigen, so von Dechant und Kapitel als ihrer alleinigen und vogteilichen Obrigkeit als Greben, Vorsteher, Waldförster, Feldschützen und Dorfknecht angesetzt und angeordnet werden, dafür anerkennen, dem Stift in Gebot und Verbot, ausgenommen in Criminal- und anderen in die landesherrliche Gerechtsame einschlagenden Fällen, als Folge, Reise, Musterung und dergleichen Territorial-jurlbus, den schuldigen Gehorsam gehörig erzeigen und sich bis zur endgültigen Entscheidung ruhig zu verhalten. Dem Dechant und Kapitel zu Fritzlar werden so viele bewaffnete Mannschaft aus der Bürgerschaft und Landmiliz unter Führung des Wachtmeisters auf Kosten des Dorfes zur Verfügung gestellt, wenn Ungedanken in seinem Ungehorsam verharren sollte. Dem Adam Hildemann in Ungedanken ist aber zu eröffnen, daß er Zusammenkünfte in seinem Haus mit den Haupträdelsführern Johann Wicke, Philipp Orth, Konrad Siebert nicht mehr halte und dulde, überhaupt dieselben mit Rat und Tat nicht mehr unterstütze, sondern sie zum Gehorsam gegen ihre rechtmäßige Obrigkeit anhalte. Diese landesherrliche Verordnung wurde nach ihrem Eintreffen bei der Amtsverwaltung am gleichen Tage noch den Ungedankenern bekannt gemacht. Ungedanken blieb zunächst halsstarrig. Es verteidigte seine angeblichen Rechte in mehreren Eingaben an das Stifskapitel und an die Mainzer Regierung. Man beschwerte sich darüber, daß der Stiftsamtmann Kanonikus vom Plettenberg zur Bestrafung der unruhigen Untertanen einen "spanischen Mantel" habe verfertigen lassen. Man beklagte sich wegen der hohen Abgaben und der zu leistenden Frondienste. Aber man vergaß dazutun, daß man der Obrigkeit den nötigen Gehorsam schuldig sei. Die Unruhen in Ungedanken dauerten weiter an. Es kam zu einer Zwangseinquartierung durch die kleine mainzische Garnison in Fritzlar. Die Kosten hatten die Einwohner von Ungedanken zu tragen, insbesondere die Rädelsführer, in deren Häuser man die doppelte und dreifache Zahl von Soldaten legte. Bittschriften und Beschwerdebriefe gingen weiterhin nach Mainz. Die Antworten erfolgten immer nur über das Stiftskapitel bzw. über den Amtmann. Hinsichtlich der Anfertigung eines spanischen Mantels erklärte die Regierung, daß dieses von Seiten des gedachten Stiftsamtmannes ganz wohl geschehen sei, indem es in der Willkür der Untertanen stehe, sich vor dergleichen Strafen zu hüten. Zudem sei eine derartige Strafe besser, als wenn unschuldige Weiber und Kinder durch beständige Geldstrafen oder langwierige Gefangenschaft, mithin mit Versäumung der nötigen Arbeit per indirectum ruiniert werden. Es sei außerdem nicht wahr, daß der Jost Wicke wegen dem getragenen spanischen Mantel gestorben sei, richtig sei vielmehr, daß er danach noch gesund gewesen sei. Die Regierung empfiehlt den Ungedankenern, im öffentlichen Kapitel zu Fritzlar dem Kanonikus von Plettenberg eine kniefällige Abbitte zu tun und diesen hierum zu bitten. In einer langen Klageschrift versuchten die beiden Stiftsdörfer, auch Rothhelmshausen hatte sich an der sogenannten Rebellion beteiligt, ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Sie zählten noch einmal die vermeintlichen Übergriffe und Bedrängungen des Stiftes auf. Noch länger fiel die Antwort von der Mainzer Regierung aus, die am 5. September 1744 erfolgte. Hierin werden die vorgebrachten Klagen widerlegt. Außerdem wird eine Entscheidung über den Aufruhr gefällt und die Gerichtsbarkeit des St. Petristiftes zu Fritzlar über die beiden Ortschaften endgültig ausgesprochen. Das Stift ist, so heißt es in dem Mainzer Urteil, nach wie vor die ordentliche vogteiliche Obrigkeit über Ungedanken und Rothhelmshausen, über die Leut usw. Die beiden Stiftsortschaften haben, so heißt es weiter, jährlich gemäß einem im Jahre 1704 geschlossenen Vergleich 92 Reichstaler u. 4 Albus an das Stift zu zahlen. Im Widersetzungsfalle soll nach vorheriger Anzeige an Dechant und Kapitel zur Exekution mit einer Mannschaft geschritten werden. Ungedanken hat jährlich 10 Goldgulden 25 Gulden in harten Sorten Schutzgeld an Hessen zu entrichten, widrigenfalls unfehlbar die Exekution erfolgt. Dem Stift Fritzlar steht unstreitig das Recht zu, in beiden Ortschaften Accis zu erheben. Es bleibt ihm überlassen, ob es diesen überhaupt auf ein bestimmtes Quantum versteigern oder stückweis von Bier, Branntwein, Fleisch u.a. erheben will. In den Ungedankener Stiftswaldungen dürfen Stiftskapitulare ungehindert Vogelschneisen anlegen. Das Stift soll aber die Wälder forstmäßig erhalten. Schlechte Frauenzimmer darf der Stiftsamtmann in Ungedanken nicht mehr dulden. Die in Ungedanken wohnenden Beisassen, die keine Bürger sind, haben dem Stifte als ihrer Obrigkeit jährlich einen halben Gulden zu zahlen. Da sie aber zum Nachteil der eingesessenen Bürger an der Gemeindenutzung teilnehmen, sollen sie künftig auch an die Gemeinde einen halben Gulden zahlen. Dem Stifte wäre anheimzugeben, dergleichen Beisassen in Ungedanken nicht mehr anzunehmen, weil es den übrigen Untertanen zum Nachteil gereiche und solche Ortschaften mit der Zeit mit Bettlern angefüllt würden. Die Forderung der Gemeinde Ungedanken, das Stift solle die von der Gemeinde zum Kirchenbau verwendeten 1200 Gulden refundieren, werde abgelehnt, da das Stift nicht die Baulast habe. Es habe aber freiwillig teils aus den dortigen Zehnten, teils aus Geldstrafen, teils durch milde Gaben ansehnliches zum Bau der Kirche beigetragen. Es stehe dem Stifte frei, durch wen es in den beiden Stiftsdörfern Ungedanken und Rothhelmshausen das Rügegericht halten lassen wolle. Es kann dem Stifte nicht, wie es Ungedanken verlangt hatte, zugemutet werden, einigen Untertanen den Beisitz und die Festsetzung der Strafen zu gestatten. Auch bleibt es dem St. Petristift in Fritzlar unbenommen, Juden aufzunehmen, ihnen den Schutz zu erteilen und ihnen das Branntweinbrennen zu gestatten. Auch ist nichts dagegen einzuwenden, daß das Stift dem Beisassen Schobenick das Bierbrauen gestattet hat. Hinsichtlich der Exekutionsgebühr wird es bei 14 Albus für Amtmann Greben und Dorfknecht belassen, bei Kopulationen und nötiger Expedition der Ehepakten und Separierung der Güter bleibt es beim herkömmlichen Taler. Die Verdächtigung des Stiftsamtmannes Kapitular von Plettenberg, als ob dieser die beiden Stiftsdörfer Ungedanken und Rothhelmshausen in hessische Hände spielen wollte, sei durchaus unbegründet und unerhhört. Nachdem nun die mannigfachen Klagen der Stiftsdörfer geger das Stift zu Fritzlar als unbegründet zurückgewiesen und abgewiesen sind, erfolgt die Verurteilung wegen Aufruhr. Die Aufrührer müssen 325 Gulden 20 Kreuzer Strafe zahlen, dem ganzen Kapitel einmal und dem Stiftsamtmann von Plettenberg insbesondere zweimal in Gegenwart der übrigen Untertanen beider Stiftsortschaften öffentlich kniefällig Abbitte leisten und eine vierwöchige Schanzarbeit beim Wehrbau zu Fritzlar tun. Sodann wird ihnen allen Ernstes bedeutet, daß wofern sie Dechant und Kapitel von St. Peter zu Fritzlar als ihrer vorgesetzten vogteiligen Obrigkeit künftighin den in alle Wege schuldigen Gehorsam nicht erzeigen, sondern in ihrer boshaften und unverantwortlichen Widersetzlichkeit ferner verharren würden, selbige nebst anderer weit mehr empfindlicher Leibesstrafe als Friedensstörer und ungehorsame Untertanen aus den erzbischof!ichen Landen auf ewig fortgeschafft werden sollen. Mit diesem Urteil war die vogteiliche Gerichtsbarkeit des St.-Petristiftes über die beiden Stiftsdörfer Ungedanken und Rothhemshausen kräftig gewährleistet. Der Aufruhr, der vier Jahre hindurch das Tagesgespräch im ganzen Stiftsgebiet war, und die Gemüter erregt hatte, nahm mit dem von der Landesregierung ein ausgesprochenen Urteil ein für die Beteiligten klägliches Ende. Die Hauptanstifter und Rädelsführer der Rebellion gegen die vorgesetzte Obrigkeit: - Johann Wicke,
- Philipp Orth
- Konrad Siebert
- Adam Hildemann
mußten die genannte, für damalige Zeit hohe Geldbuße zahlen und vor dem Amtmann von Plettenberg coram capitulo und in Anwesenheit der Stiftsuntertanen kniefällig Abbitte leisten. Darüber hinaus leisteten sie die durch das mainzische Urteil verfügte vierwöchige Schanzarbeit am Ederwehr und an der Stadtbefestigung. Die politische Gemeinde hatte überdies noch für die Einquartierungslasten aufzukommen, die durch die Einlagerung kurmainzischer Truppen verursacht waren.
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