Die bei Landnahme gewonnene Flur wurde in Gewanne (Feldergruppen) geteilt. Das der einzelnen Familie zugesprochene Stück Land, Hufe genannt (etwa 30 Morgen groß) war nicht geschlossen, sondern in Gemengelage mit den Hufen der Dorfgenossen auf die Gewanne verteilt. Die Hufenanteile eines Gewannes wurden mit der gleichen Frucht bestellt, Flurzwang, der bis ins 19. Jahrhundert dauert. Zur Erholung des Bodens fand ein jährlicher Wechsel der Gewanne als Acker- und Brachland statt. Letzteres diente jeweils als Weide. Wald, Wasser, Wiesen und Wege waren Gemeindebesitz, Allmende genannt. Der freie Bauer war auf seinem Hof Herr und hatte Schutzpflicht und Strafrecht über die Hausgenossen. Daneben lebte gleichgeachtet die Frau als Hausfrau und Mutter, Hüterin des Ahnenerbes. Die Söhne schieden erst aus der Vormundschaft des Vaters aus bei Übernahme eines eigenen Hofes oder beim Eintritt in die Gefolgschaft eines Fürsten. Neben den Freien gab es den Stand der Unfreien, die aus Kriegsgefangenen und deren Nachkommen bestanden. Die Sippe, die Blutsverwandtschaft des Mannes, siedelte gemeinsam, kämpfte in der Schlacht zusammen und stand auf der Gau-und Volksversammlung als Einheit. Die Sippe wahrte das Recht und vollstreckte es. Sie war Zeuge beim Treuebund zwischen Mann und Weib. In jeder Sippe wurde die alte, ruhmvolle Stammfamilie als besonderer Adel herausgehoben, der die Führer stellte. Benachbarte Dorfgemeinden mit rund 1 000 wehrfähigen Männern bildeten einen Gau. Bei Voll- oder Neumond fand der Gauthing auf geheiligtem Boden unter Vorsitz des Gaufürsten statt. Die Thingstätte wurde umfriedet mit einer roten Schnur. Schöffen erkannten das Recht nach Brauch und Herkommen, nicht nach einem festgesetzten Gesetz. Recht und Sitte waren noch rein. Die umstehenden Gaugenossen gaben ihre Zustimmung zu dem Urteil. Eine öffentliche Vollstreckung der Strafe fand nur statt bei Landesverrat, Feigheit und Störung des Thingfriedens. Wenn man rückblickend das Bild überschaut, das uns die Funde von der Bevölkerung unserer Heimat in den Jahrtausenden vor Christi Geburt bieten, so ist eine vielfache Wandlung des Kulturkleides festzustellen von den nomadischen Jägern und Sammlern der Alt- und Mittelsteinzeit über die ersten Ackerbauern des dritten Jahrtausends vor Christi Geburt, die einzelnen Gruppen der Jungsteinzeit, die Bronzezeitleute und die der Eisenzeit bis zu den Chatten der Zeit um Christi Geburt. Verschiedene Faktoren haben diese vielgestaltige Entwicklung bestimmt.: wirtschaftliche Neuerungen, wie das Bekanntwerden des Ackerbaues im vierten Jahrtausend v. Chr. oder die Einflüsse einer städtischen Kultur im letzten Jahrhundert vor Christus, sodann Errungenschaften der Technik, wie etwa das Aufkommen der Bronze und später des Eisens, ferner Erfindungen auf dem Gebiet der Bewaffnung. Auch Modeströmungen, die sich in der Tracht oder den Töpfererzeugnissen äußern, sind in ihrer Wirkung nicht zu übersehen, wie etwa die von der süddeutschen Urnenfelderkultur ausgehende Mode und dann die hallstättische und schließlich die am Ende des letzten Jahrtausends vor Christus herrschend werdende keltische Richtung. Bedeutsam sind auch religiöse Strömungen, die eine Wandlung der Bestattungssitten hervorrufen, wie es das Erscheinen des Hügelgrabes im Fritzlarer Stadtwald oder das des Urnengrabes bei der Fraumünsterkirche etwa ein Jahrtausend später darstellt oder wie sie in der Errichtung von Steinkisten zum Ausdruck kommt. Auch soziale Umschichtungen mögen eine Rolle gespielt haben, ebenso wie Kriege innerhalb und außerhalb des Landes. Kriegerisch bewegte Epochen sind dem Fundstoff deutlich abzulesen. Nicht außer acht lassen darf man endlich auch das friedliche oder gewaltsame Eindringen fremder Bevölkerungsteile, die teils als Wanderbauern, teils als fahrende Händler, teils aber auch als kriegerische Herren gekommen sein mögen. Aber trotz aller Veränderungen scheint der in der Zeit um Christi Geburt bezeugte niederhessische Stamm der Chatten eine alte Tradition in dieser Landschaft gehabt zu haben, die vielleicht zurückgeht bis in das dritte Jahrtausend vor Christi Geburt, in dem die zusammenfassende Wirkung der niederhessischen Senke auf ihre Bevölkerung bereits zu bemerken ist. Und wenn es sich auch gewiß nicht um einen unveränderten Bevölkerungsbestand handelt, der von jenen ältesten Zeiten bis zu den Chatten anzunehmen ist, so kann man doch einen Zusammenhang in der Existenz einer niederhessischen Gruppe für wahrscheinlich halten, in dem sich das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Bevölkerung seit dem zweiten Jahrtausend vor Christus widerspiegelt.
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