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Luftangriff auf die Edertalsperre PDF Drucken E-Mail

1943
In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai war das Edertal von der Sperrmauer der Talsperre abwärts Schauplatz einer ungeheuren Katastrophe. Kurz nach Mitternacht gab es Fliegeralarm. In dem nahen Fritzlar gingen die Sirenen. Feindliche Flieger zogen vorüber. Es gab Entwarnung, man hielt die Gefahr für beseitigt und legte sich wieder zur Ruhe nieder. Gegen 3 Uhr schreckte das Feuerhorn die Bewohner erneut aus dem Schlafe. Was ist los? - Wo brennt's. Das waren die Fragen, die sich die Nachbarn zuriefen. Bald aber erfuhr man durch einen telefonischen Anruf die grausige Wirklichkeit: Die Sperrmauer war von englischen Fliegern bombardiert worden! Schon hört man von ferne das Brausen der heranrollenden Flut.Schnell auf zur Mühle, die am gefährdetsten ist. Menschen und Tiere müssen hier in Sicherheit gebracht werden. Zwanzig Minuten nach drei Uhr brechen die ersten Wogen in das in Nebel gehüllte Tal. Durch das schnelle und beherzte Eingreifen mutiger Dorfbewohner werden Frau Theresia Siebert mit ihren drei Kindern und die Mieterin Frau Holzförster mit zwei Kindern gerettet, ehe die mehrere Meter hohe Flutwelle das Haus erreicht. Die Männer der beiden Frauen stehen als Soldaten an der Front. In kürzester Zeit werden Kühe, Schweine und sogar die Hühner zu anderen Bauern ins Dorf in Sicherheit gebracht und das Haus durch viele helfende Hände geräumt! Wäsche wird in Säcke gepackt und in Sicherheit gebracht und die Federbetten und vieles mehr. Die Männer haben sogar einen Teil der Frucht in Säcke geschaufelt und auf einen Wagen im Hof geladen. Hinter dem Haus stehen Wachtposten und beobachten das Steigen der Flut, um sofort melden zu können, wenn den Helfern Gefahr drohte, damit sich dann alle schnell in Sicherheit bringen können, aber wie durch ein Wunder erleidet die Mühle selbst nur geringfügige Schäden.
Doch die ganze weite Talebene ist zu einem rasenden, kochenden See geworden, der Bäume, Sträucher, Masten und Zäune, Häuser, Tiere und Menschen mit sich führt. Immer neue Wassermengen rauschen das Tal hinab. Gegen vier Uhr erreicht die Flut ihren Höhepunkt. Der weite See, den sie bildete, reichte bis an den Bahnhof, überschritt unterhalb der Mühlwiese Bahndamm und Straße und reichte vom Galgenberg und Büraberg bis hinüber zur Hardt und zum Eckerich.
Einhundertfünfzig Acker (Morgen) der Ungedankener Gemarkung sind überschwemmt, dreißig Acker in eine Steinwüste verwandelt. Vom Büraberg aus bot sich dem Auge ein nie geschautes Bild: Soweit man sehen konnte, erblickte man in weitem Umkreis eine ungeheure schmutziggelbe Wasserwüste aus der die Dächer des Fritzlarer Flugplatzes und von Zennern und Wabern wie Inseln hervorragten. Alle Wege nach Fritzlar waren überschwemmt, Ungedanken von allem Verkehr abgeschlossen. Es gab kein Licht, keine Post, keinen Radioempfang keinen Zugverkehr.
In Ungedanken aber schritt man, ohne auf eine Anordnung höherer Dienststellen zu warten, zur Selbsthilfe. Gegen Mittag rief die Ortsschelle aus jedem Hause eine Person zu den dringendsten Aufräumungsarbeiten. Berge von Schutt und Trümmern aller Art machten die Verkehrsstraßen, von denen die Wasser zum größten Teil abgeflossen waren, unpassierbar. Viele der bestellten Grundstücke waren überhaupt nicht wieder zuerkennen. So hatte das Wasser hier gewütet. Sie lagen unter dem Schutt begraben oder waren durch die Flut, die breite und tiefe Furchen gegraben hatte, zerstört. Nachdem die Straße einigermaßen passierbar geworden war, vermittelten nach drei Tagen Omnibusse den Verkehr in beiden Richtungen.
Der Bahnverkehr war für längere Zeit unterbunden, denn der Bahndamm war streckenweise fortgeschwemmt und die Schienen lagen frei in der Luft Doch kam auch hier bald tatkräftige Hilfe: Arbeitsdienst, Technische Nothilfe, Reichsbahn-Bauzüge und OT (Organisation Todt), tausend fleißige Hände regten sich. Bereits nach vier Wochen gab es im Ort wieder elektrisches Licht und die Bahn verkehrte wie zuvor. Die Talsperrenkatastrophe forderte aber im ganzen 58 Menschenleben.
Groß waren die Schäden, die das Hochwasser in unserem Kreisgebiet verursachte. Größte Schäden erlitten die Hackfruchtfelder, die Ernte war vielerorts völlig vernichtet und es bedurfte wochenlanger Anstrengungen, die Felder wieder einigermaßen in Ordnung zu bringen.
Aus dem Kreisgebiet fanden 15 Deutsche und 7 Ausländer Tod in den Fluten. Aus Geismar Jakob Kurze, aus Zennern Wilhelm Bächt, Konrad Hocke und Bernhard Körle, aus Lohne Konrad Derx und aus Fritzlar Ruth Böger, Josefine Bomberg, Elisabeth Ganns, Johannes Geismar, Anne Knuppert, Helm Knuppert, Ida Scheuermann, Kunigunde Geismar und Rot Häfner. Groß waren auch die Verluste an Vieh. Es gingen zugrunde: 7 Pferde, 74 Stück Rindvieh, 353 Schweine, 477 Schafe, 127 Ziegen 3842 Stück Kleinvieh, 67 Bienenvölker und 2 Schäferhunde.
Von der Wasserflut wurden 10 Gebäude hinweggerissen, 137 Häuser beschädigt. Die Ederbrücken bei Fritzlar und Zennern fielen ebenfalls den Fluten zum Opfer.

Hess. Allg. Nr. 115, Freitag, 17. Mai 1968:
Vor 25 Jahren:
Nach den Bomben kam die grosse Flut
Ederseemauer bei Luftangriff getroffen.
Edersee.
Es war noch lange angenehm warm an diesem Abend des 16. Mai 1943. Den ganzen Tag hatte ein blauer Himmel über der Landschaft gestanden und die Sonne hatte über 14 Stunden geschienen. Es war der vierte Muttertag im zweiten Weltkrieg. Viele Söhne waren nicht daheim, mancher schon gefallen, und die Mütter waren allein, weil auch die Väter draußen an den Fronten standen. Die beiden Frauen auf der Anhöhe über Affoldern schauten noch einige Zeit dem Dampf der Lokomotive des Zuges nach, der ihre Männer wieder in das Inferno des Krieges zurückbrachte, Dann wandten sie sich dem Dorf unten im Tal zu und sprachen davon, daß es doch nichts schöneres als die Heimat geben könnte, ohne zu ahnen, daß wenige Stunden später auch hier der Krieg grausam zupacken würde.
Während die Menschen in den Dörfern des Edertals an diesem Abend noch lange vor den Haustüren saßen, wurde auf einem britischen Flugplatz in Wales der Befehl zur "Operation Downwood " gegeben. Die Besatzungen von 18 viermotorigen Lancaster-Maschinen wurden kurz informiert und dann stiegen 126 Männer der Royal Air Force mit einer schweren Bombenfracht, insbesondere Spezialbomben, mit denen man viele Wochen an Modellen von Talsperren, eigens zu diesem Zweck aufgebaut, geübt hatte, in die Lüfte.

Zuerst die MöhnetaIsperre

Spät ging man an diesem Abend in den Dörfern des Edertales zur Ruhe. Schon kurz nach Mitternacht wurden die ersten aus dem Schlaf geschreckt. Immer unruhiger wurden sie, als das Motorengeräusch von Flugzeugen stärker wurde. In Affoldern und Hemfurth flogen die Maschinen direkt über die Dächer der Häuser hinweg. Zuerst dachte man, es seien deutsche auf einem Übungsflug. Im hellen Mondenschein machte man sie dann als britische aus, die immer enger ihre Kreise zogen. Kurz vorher hatten sie die Möhnetalsperre im Sauerland angeflogen und unter starkem Flakfeuer die Sperrmauer getroffen. Fast 900 Tote gab es dort in dieser Nacht, darunter über 600 Arbeiterinnen aus Polen und der Ukraine, die unterhalb der Sperrmauer in Lagern untergebracht waren.

Flak abgezogen

Am Edersee gab es kein Flakfeuer und keine Leuchtspurmunition. Die Flak, die seit Beginn des Krieges auf der Mauer gestanden hatte, war einige Tage vorher abgezogen worden. Die Spionage hatte offenbar gut gearbeitet. Dennoch war dieser Einsatz an der Edertalsperre für die Männer in den schweren Bombern schwieriger. Die Sperrmauer, in ein Tal gezwängt, war schwerer anzufliegen, als die des Möhnesees. Ein Angriff über Schloß Waldeck im Sturzflug herunter zur Sperrmauer schied aus. Die Maschinen hätten dann nicht die richtige Höhe für den Abwurf der Bomben gehabt.

Flugzeug in Stücke gerissen

So wurde erst einmal ein Probeanflug gestartet. Er schlug fehl. Erst beim zweiten Anflug löste der Bombenschütze einer Maschine die Bombe. Aber zu spät. Sie krepierte mitten auf der Mauer mit einer gelben Stichflamme, die das Flugzeug erfaßte und es in Stücke riß. Von der Besatzung wurde niemand wiedergefunden.
Beim dritten Anflug wurde die Mauer getroffen. Aber es geschah nichts. Erst die von dem Leutnant Les Knight gesteuerte Maschine traf mit ihrer Spezialbombe die Mauer genau auf der Krone. Darüber berichtete Les Knight bei der Landung in England: Als wir getroffen hatten, drehten wir sofort ab. Wir sahen nur noch die Gischt hochspritzen.

Das Wasser kommt

In Hemfurth und Affoldern, den der Sperrmauer am nächsten gelegenen Gemeinden, hörte man die Erschütterung am stärksten. In Hemfurth wackelten die Häuser.
Und dann setzte das Inferno ein. Mit lautem Getöse rollten die Wassermassen heran. Von dem Hemfurther Bürgermeister Wilhelm Ochse benachrichtigt.fuhren drei Jungen in Affoldern auf Fahrrädern durch das ganze Dorf, weckten mit schrillem Klingeln die Einwohner und riefen so laut sie konnten: "Die Mauer ist getroffen! Das Wasser kommt!"
Das Wasser kam schnell. Es überschwemmte in wenigen Augenblicken den unteren Teil von Hemfurth, wälzte sich durch das Bett der Eder und, weit über die Ufer tretend, in Richtung Affoldern. In dem kleinen Kraftwerk dort war man in höchster Not. Der elektrische Strom war ausgefallen. Die Schieber des Wehres konnten nicht mehr geöffnet werden. Hoffentlich hält der Damm!

Schlammwüste

Der Damm hielt nicht. Die Wassermassen waren zu stark, brachen sich Bahn und rollten gurgelnd und schäumend auf das Dorf zu und zerstörten es.
Immer weiter wälzte sich die große Flut. Menschen, die sich nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, Dreschmaschinen und andere landwirtschaftliche Geräte wurden mitgerissen. In den Ställen brüllte das Vieh und ertrank jämmerlich. Felder und Wiesen wurden zu einer Schlammwüste, in der mehrere Jahre nichts mehr gedeihen konnte.

50 Menschen ertrunken

Viele Menschen waren in höchster Not. Der alte Schäfer Adam Dietz in Affoldern wurde als erster von den Fluten fortgerafft, kurze Zeit später sein Sohn Wilhelm. Von ihrer Tochter weggerissen wurde im selben Ort Lina Laupert, als beide das schützende Ufer beinahe erreicht hatten. Schwimmend klammerten sich die Eheleute Laborenz an einen Balken, ein kleines Kind über sich haltend, das Ihnen doch noch entrissen wurde. Der 70jährige Wilhelm Böttcher, der mit Schwiegersohn und Tochter noch über eine schon überflutete Wiese fliehen wollte, wurde mit einem Soldaten aus Bad Sooden-Allendorf, der gerade seinen Schwiegersohn gerettet hatte, von den Fluten erfaßt. Von der Seite seines Sohnes verschwand plötzlich der 76jährige Altbauer Heinrich Stiehl, der mit dem Sohn versucht hatte, ein Haus an der Dorfstraße noch zu erreichen. In Hemfurth ertrank die Frau des an der Front eingesetzten Lehrers Karl Mangel mit Ihren beiden Kindern. Frau und Tochter verlor auch der jetzige Bürgermeister von Affoldern, Heinrich Reis. In Bergheim wurde die vierköpfige Familie Karl Wende auf der Flucht vor den Wassermassen ereilt. Viele hatten auf Dächern und Bäumen Zuflucht gefunden, wo sie stundenlang, umgeben von der gurgelnden Flut, ausharrten, ehe sie von Pionieren mit Schlauchbooten gerettet wurden.

213 Gebäude zerstört
Das alles war in einer Nacht geschehen. In die Mauer der Talsperre war ein 22 Meter tiefes Loch gerissen worden. Jede Sekunde stürzten 8000 Kubikmeter Wasser in das Tal. 50 Menschen aus den Kreisen Waldeck, Fritzlar-Homberg, Melsungen und Kassel-Land kamen in den Fluten um. in sieben Orten von Hemfurth bis nach Kassel wurden 213 Häuser, Stallungen und Scheunen zerstört. Schäden wurden auch an Kirchen und anderen größeren Bauwerken registriert. Das tote Vieh war kaum zu zählen.
Am anderen Tag schien wieder die Sonne. In dem über die deutschen Sender gegebenen Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht vom 17. Mai 1943 hieß es: "Es wurden zwei Talsperren beschädigt und durch den einsetzenden Wassersturz schwere Verluste unter der Zivilbevölkerung hervorgerufen. Acht der angreifenden Flugzeuge wurden abgeschossen."

Auf der Suche

In den am meisten zerstörten Dörfern wurden Notküchen eingerichtet Die obdachlos gewordenen Menschen wurden dort kostenlos verpflegt. Viele gingen tagelang auf die Suche nach wertvollen Erinnerungsstücken, zwanzig, dreißig Kilometer die Eder abwärts durch Schlamm und Geröll. Sie fanden kaum etwas wieder.

Umsiedlung geplant

In den Dörfern entstanden erste Notunterkünfte und Baracken. In Affoldern legte man einen neuen Friedhof an, an einem Abhang über dem Dorfe. Behörden und Parteidienststellen wollten das zerstörte Dorf nicht wieder aufbauen. Die Bewohner sollten in Kärnten oder in Polen angesiedelt werden. Aber die Affoldener protestierten mit Erfolg. Der neu angelegte Friedhof wurde eingeebnet und die dort schon bestatteten Opfer der Katastrophe auf den alten Friedhof umgebettet.

Mahnung zum  Frieden

Die Schließung der Lücke in der Mauer der Talsperre durch eine Spezialfirma dauert bis Oktober 1943. Das Kraftwerk mit seinen Turbinen konnte erst im Frühjahr 1945 wieder voll arbeiten.
Die Bevölkerung ging mit Elan an den Wiederaufbau heran. Wenn man heute durch das Edertal fährt, sieht man nichts mehr von der damaligen Katastrophe. Die Dörfer sind schöner geworden.
In Affoldern wird man auf der Fahrt zum Edersee daran erinnert: In der Anlage vor dem Dorfgemeinschaftshaus steht eine Bronzeskulptur einer Mutter, die ihr Kind aus den Fluten emporhebt, während sie selbst im Wasser versinkt. Die Inschrift lautet: "Die Toten der Ederseekatastrophe 1943 mahnen zum Frieden!"
Bei der Einweihung des Mahnmals sagte der hessische Ministerpräsident Dr. Zinn: "Das Mahnmal möge ein Symbol dafür sein, daß unser Volk zurückgefunden hat und sich zur Idee der Freiheit und der Menschlichkeit bekennt. Als ein Symbol der Hoffnung wird es dokumentieren, daß die Idee der Gewalt durch die Gewalt einer Idee schließlich doch besiegt werden kann." Auf der Fahrt zum Edersee halten Jahr für Jahr die Menschen an dieser Stelle kurze Rast. Sie gedenken derjenigen, die hier einen so grausamen Tod fanden.

Mehr Infos finden Sie hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Chastise 
                                    

 

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